(Pressemitteilung des Bundesverwaltungsgerichtes vom 06. November 2014)
Ein im Bundesgebiet geborenes Kind eines türkischen Arbeitnehmers, das nach der derzeitigen Rechtslage einer Aufenthaltserlaubnis bedarf, kann sich nicht auf die früher geltende Befreiung von der Aufenthaltserlaubnispflicht berufen. Zwar verbietet das Assoziierungsabkommen EWG -Türkei grundsätzlich eine nachteilige Veränderung der Rechtslage. Die Erstreckung der Aufenthaltserlaubnispflicht auf unter 16-jährige Ausländer ist jedoch durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt. Das hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig heute entschieden.
Der Kläger wurde im Jahre 2011 in Deutschland geboren und besitzt die türkische Staatsangehörigkeit. Sein Vater reiste im Jahre 1994 ein, ist im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis sowie ordnungsgemäß als Arbeitnehmer beschäftigt.
Der beklagte Landkreis lehnte im Februar 2012 den Antrag des Klägers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ab, weil sein Lebensunterhalt nicht gesichert sei. Ein erlaubnisfreier Aufenthalt komme nicht in Betracht,da die sog. Stillhalteklausel des Art. 13 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19. September 1980 (ARB 1/80) auf den hier betroffenen Bereich der Familienzusammenführung nicht anwendbar sei. Der Kläger begehrte im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht die Aufhebung der erlassenen Abschiebungsandrohung sowie die Feststellung, dass er sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält. Diesem Begehren hat das Verwaltungsgericht entsprochen und die Sprungrevision gegen sein Urteil zugelassen.
Auf die Revision des Beklagten hat das Bundesverwaltungsgericht dieses Urteil geändert und die Klage abgewiesen. Der Kläger kann sich auf das assoziationsrechtliche Verschlechterungsverbot (Art. 13 ARB 1/80) berufen, das neue Beschränkungen der Bedingungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt verbietet. Nach der jüngeren Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) ist die Stillhalteklausel des Art. 13 ARB 1/80 auch auf Regelungen anwendbar, die das Recht des türkischen Arbeitnehmers auf Familiennachzug berühren. Denn eine Regelung, die die Familienzusammenführung erschwert, kann dazu führen, dass er sich zwischen einer Tätigkeit im Bundesgebiet und dem Familienleben in der Türkei entscheiden muss. Da es nach Art. 13 ARB 1/80 maßgeblich darauf ankommt, ob die Rechtsstellung des türkischen Arbeitnehmers beeinträchtigt wird, reicht in diesem Fall dessen ordnungsgemäßer Aufenthalt und dessen ordnungsgemäße Beschäftigung aus. Die Einführung einer Aufenthaltserlaubnispflicht durch § 33 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) bewirkt eine „neue Beschränkung“ im Sinne des Art. 13 ARB 1/80, da sie eine Verschlechterung der durch § 2 Abs. 2 Nr. 1 Ausländergesetz (AuslG) 1965 gewährten Befreiung von der Aufenthaltserlaubnispflicht darstellt. Die Aufhebung der Befreiung von der Aufenthaltserlaubnispflicht für unter 16-jährige dient jedoch einem zwingenden Grund des Allgemeininteresses i.S. der neueren EuGH-Rechtsprechung, nämlich einer effektiven Zuwanderungskontrolle, und ist hier auch nach Art und Umfang gerechtfertigt.
BVerwG 1 C 4.14 – Urteil vom 06. November 2014
Neueste Kommentare