Ein fiktiver (und gleichwohl mitten aus dem Leben!) gegriffener Ausgangssachverhalt:
Der Erblasser E errichtet 2009 ein Testament und lässt dieses bei einem Notar beurkunden. Als Alleinerben setzt er seinen Sohn S ein. Erblasser E verstirbt 2010 und hinterlässt 100.000 € auf einem Konto bei der B-Bank. Einen Erbschein beantragt Sohn S nicht, da er die Kosten hierfür scheut. Vielmehr spricht er sogleich bei der B-Bank vor undverlangt, dass die 100.000 € an ihn ausbezahlt werden, wobei er die vom Nachlassgericht eröffnete notarielle Testamentsurkunde vorlegt. Die B-Bank verweigert die Auszahlung und sagt, dass er erst einen Erbschein vorlegen soll, da ansonsten ja nicht bewiesen sei, dass S wirklich der alleinige Erbe des E ist. Zu Recht?
Das Problem: Die Bank geht natürlich ein Risiko ein, wenn sie an eine „falsche Person“ auszahlt. Die folgende Abwandlung unseres Ausgangsfalles verdeutlicht dies:
Die B-Bank hat sich von der Echtheit des notariellen Testaments überzeugt und die 100.000 € an S ausgezahlt. Einige Monate später erscheint Frau F, die Lebensgefährtin des Erblassers E, in der B-Bank. Sie legt einen Erbschein des zuständigen Nachlassgerichts vor, welcher sie als die Alleinerbin des E ausweist. Es stellt sich heraus, dass E einige Wochen vor seinem Ableben ein handschriftliches Testament abgefasst hat, mit dem er das notarielle Testament von 2010 aufgehoben und F zur Alleinerbin eingesetzt hat. F ist erbost darüber, dass die B-Bank das Geld schon an S ausgezahlt hat, zumal diese ihr mitteilt, dass man nichts mehr für sie tun könne; die Bank hätte „mit befreiender Wirkung“ an S ausgezahlt und müsse nicht noch einmal an F leisten. F wendet sich sodann an S und verlangt von ihm die Zahlung der 100.000 €, die ihr als Erbin doch zustehen würden. S ist hiervon überrascht, da er von dem neueren Testament seines Vaters nichts gewusst hatte. Er teilt F mit, dass von dem Geld nichts mehr da ist, nachdem er eine luxuriöse Weltreise gemacht und den Rest im Casino verspielt hat. Kann F nun von S oder aber der B-Bank die Zahlung von 100.000 € verlangen?
Vorab ist klarzustellen: Entscheidend ist natürlich immer der Letzte Wille eines Erblassers. Es kommt in unserem Fall allein auf das neuere Testament des E an, durch welches er die F zur Alleinerbin eingesetzt hat, denn dieses war zum Zeitpunkt seines Todes das aktuelle. Zu Lebzeiten kann man ein Testament jederzeit auch wieder abändern, wie E es mit seinem ursprünglichen Testament zugunsten seines Sohnes S getan hat. Dabei schadet es auch nicht, dass das ursprüngliche Testament notariell beurkundet und das neuere handgeschrieben war. Handgeschriebene Testamente sind genauso wirksam wie notarielle und ein neueres handgeschriebenes Testament hebt auch ein älteres notarielles wirksam auf.
Schlau wäre es von Erblasser E vorliegend natürlich gewesen, das aufgehobene notarielle Testament nach der Abfassung des neuen aus der amtlichen Verwahrung beim Notar oder beim Nachlassgericht herauszunehmen; dann wäre die dargestellte Rechtsunsicherheit von vornherein gar nicht entstanden. Doch auch hier gilt: Ein Testament ist nicht nur wirksam, wenn es amtlich verwahrt ist. Mit einem neueren Testament, das nicht amtlich verwahrt wird, kann man daher auch ein älteres in amtlicher Verwahrung wirksam aufheben.
Doch zurück zur Ausgangsfrage: Durfte die B-Bank von S nun die Vorlage eines Erbscheins verlangen? Hierzu gibt es mittlerweile klare Tendenzen in der Rechtsprechung. Der Bundesgerichtshof hatte bereits im Jahre 2005 erstmals entschieden, dass der Erbe grundsätzlich nicht verpflichtet ist, sein Erbrecht durch einen Erbschein nachzuweisen. Er hat auch die Möglichkeit, den Nachweis seines Erbrechts in anderer Form zu erbringen, wobei ein eröffnetes öffentliches Testament in der Regel einen ausreichenden Nachweis für sein Erbrecht darstellt. Die B-Bank war also nicht berechtigt, die Vorlage eines Erbscheins zu verlangen. Hätte S aber auf die Vorgabe der B-Bank hin einen solchen eingeholt, hätte er verlangen können, dass die B-Bank die Kosten hierfür trägt.
Eingeschränkt muss hierzu allerdings gesagt werden: Dies gilt nur, soweit es um bewegliches Vermögen, Bankguthaben und Geldvermögen des Erblassers geht. Sind Häuser, Eigentumswohnungen oder sonstige Grundstücke im Nachlass und will der Erbe diese im Grundbuch auf sich umschreiben lassen, wird das Grundbuchamt in jedem Falle einen Erbschein sehen wollen, so dass man um die Beantragung dann nicht herumkommt.
Weiter zur Fallabwandlung: Durfte die B-Bank jetzt an Sohn S auszahlen? Natürlich beweist ein Testament gerade nicht, dass es sich hierbei auch um den Letzten Willen des Erblassers handelt. Es könnten ja durchaus noch neuere Testamente existieren, in denen der Erblasser etwas ganz anderes verfügt hat, wie es der vorliegende Fall auch zeigt. Den definitiven Nachweis bringt nur ein Erbschein als amtliches Zeugnis über ein bestehendes Erbrecht. Wenn die Bank aber, wie wir ja aus dem Ausgangsfall wissen, gar nicht dazu berechtigt ist zu verlangen, dass der Erbe einen Erbschein vorlegt, wäre es natürlich grob unbillig, sie nachher dafür haftbarzu machen, wenn sie an den „falschen Erben“ ausbezahlt. Es ist hier nur entscheidend, ob die Bank die Unterlagen sorgfältig geprüft hat; ansonsten würde sie bei der Auszahlung fahrlässig handeln. Wenn also der vermeintliche Erbe eine notarielle Urkunde vorlegt und sich hieraus nicht irgendwelche gravierenden Mängel ergeben, darf die Bank nach gewissenhafter Prüfung darauf vertrauen, den richtigen Erben vor sich zu haben, und handelt nicht fahrlässig, wenn sie an ihn auszahlt.
Es gilt also im Ergänzungsfall: Die B-Bank hat nicht fahrlässig gehandelt und mit befreiender Wirkung an Sohn S geleistet, so dass Frau F nicht erneut die Zahlung an sich verlangen kann. S ist zwar niemals der Erbe des E gewesen, doch wusste er dies nicht, da er von dem neueren Testament keine Kenntnis hatte und auch nicht haben musste. Damit durfte er natürlich davon ausgehen, dass er das Geld wirksam geerbt hatte und es ihm gehörte, so dass er auch dazu berechtigt war, nach Belieben damit zu verfahren, ja sogar, das Geld zu „verbraten“. Somit beruft er sich gegenüber F zu Recht auf den so genannten „Einwand der Entreicherung“. F wird damit leben müssen, dass sie schlicht zu spät auf den Plan getreten ist, und das Geld, obwohl sie es geerbt hat und es ihr zugestanden hätte, zwischenzeitlich ganz einfach „weg“ ist.
Mitgeteilt von: Rechtsanwalt Christof Bernhardt, Kanzlei Cäsar-Preller
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